Rehabilitation bei Zerrung oder Muskelfaserriss der Hamstrings

Rehabilitation bei Zerrung oder Muskelfaserriss der Hamstrings

ein Artikel von Jakob Scheidl und Fabian Michalczik, BSc

 

 

Welcher Muskel ist der Hamstring?

 

Die Hamstrings befinden sich auf der Oberschenkelrückseite und bestehen aus drei verschiedenen Muskeln (M. Semimembranosus, M. Semitendinosus, M. biceps femoris) die am Sitzbeinhöcker (Tuber Ischiadicum) und Oberschenkelknochen entspringen. Von dort aus verlaufen sie seitlich über das Knie und setzen jeweils am Waden- und Schienbein an. Durch ihren Verlauf bewirken die Hamstrings eine Streckung in der Hüfte sowie eine Beugung im Knie und stabilisieren gemeinsam mit dem Quadrizeps das Kniegelenk.

 

Wie kommt es zu einer Zerrung oder einem Muskelfaserriss der Hamstrings?

 

Durch ihre anatomische Beschaffenheit sind die Hamstrings besonders verletzungsanfällig, denn sie ziehen über Hüft- und Kniegelenk. Deine Hamstrings sind besonders stark bei Bewegungen beansprucht, wo sie unter großer Spannung nachgeben müssen, wie beispielsweise am Ende der Schwungphase beim Laufen oder beim Schießen im Fußball. Bewegungen, die ebenfalls eine große Belastung für deine Hamstrings darstellen, ergeben sich auch beim Klettern, wo die Hamstrings unter hoher Spannung Bewegungsfreiheit für die obere Extremität ermöglichen und sich teilweise für Sprünge explosiv verkürzen müssen. Unter diesen Belastungen kommt es häufig zu einer Zerrung oder einem Muskelfaserriss in den Hamstrings.

 

Wie lange dauert eine Hamstrings Verletzung?

 

Der Weg zur vollständigen Belastbarkeit bzw. der Return-to-Sports hängt primär vom Schweregrad der Verletzung ab und kann von 2 Wochen bis zu mehreren Monaten dauern. Dabei werden drei verschiedene Ausprägungen unterschieden:

 

Grad I (mild) beschreibt eine Zerrung. Dabei kommt es zu einer minimalen Verletzung von Muskelfasern, jedoch ohne Einriss, Blutung oder signifikanten Kraftverlust. Du wirst wahrscheinlich Schmerzen beim Dehnen der Beinrückseite und auch beispielsweise bei Aktivitäten wie Laufen, Schießen oder Springen haben.

 

Grad II (moderat) steht für einen Einriss der Muskulatur (<50%) und Grad III (schwer) beschreibt Muskeleinrisse >50% bzw. Abrisse der Muskulatur. Bei Grad II und Grad III beschreiben die betroffenen Personen oftmals ein „Poppen“ gespürt oder gehört zu haben, einhergehend mit starken Schmerzen im Anschluss. Bei einem Muskelfaserriss ist auf der Oberschenkelrückseite eine Unregelmäßigkeit im Muskelverlauf tastbar und die Stelle der Verletzung ist besonders schmerzhaft und geschwollen; in den meistens Fällen bildet sich ein Bluterguss. Zusätzlich kommt es zu Kraftverlust, besonders bei Kniebeugung, sowie Bewegungseinschränkungen und Schmerzen bei Aktivität. Treffen v.a. die Beschreibung von Grad II und III auf dich zu, solltest du unbedingt ein MRT oder Ultraschall deiner Hamstrings machen und deinen Physio kontaktieren. Hamstring-Verletzungen sollten ernst genommen werden und benötigen um wieder voll funktionsfähig zu werden professionelle Therapie. Denn gerade bei Muskelfaserrissen im Bereich Hamstrings ist das Wiederverletzungsrisiko hoch und der damit verbunden Sportausfall oftmals langwierig.

 

Ist Wärme gut für eine Zerrung und sollte man bei einer Zerrung/Muskelfaserriss dehnen?

 

Jein. In der Akutphase solltest du beides nicht machen! Gleich nach deiner Verletzung bzw. in den Tagen danach, kannst du dich um Schmerz und/oder Schwellung zu reduzieren bzw. deinen Heilungsprozess optimal zu unterstützen, an das POLICE-Schema halten.

 

Das bedeutet:

 

  • PROTECTION: In den ersten 48h nach deiner Verletzung solltest du dich ausruhen und dein betroffenes Bein schonen bzw. so wenig wie möglich belasten. Sind zwei Tage vergangen und du hast das Gefühl, dass dein Körper die Situation in den Griff bekommen hat, kannst du zusätzlich beginnen sanfte und schmerzfreie Bewegungen durchzuführen. Trotzdem ist weiterhin Schonung angesagt!

 

  • OPTIMAL LOADING: Bereits in der Akutphase nach deiner Verletzung kann Bewegung dabei helfen den Heilungsprozess zu fördern und Einschränkungen im weiteren Verlauf zu reduzieren. Dabei spielt die Dosierung der Bewegung eine wichtige Rolle, denn das Verletzte Gewebe soll nicht zusätzlich gereizt werden. Optimal Loading beschreibt dabei die Bewegung in dem Ausmaß, die dein Körper zum Zeitpunkt der Akutphase toleriert. Hier ist der Schmerz dein Indikator dafür, wie weit du gehen darfst, denn du solltest das ganze möglichst schmerzfrei durchführen. So kannst du bereits von Anfang an dafür sorgen, deine Mobilität und muskuläre Ansteuerung zu fördern.

 

  • ICE: Kühle den betroffenen Bereich, um v.a. Schmerzen zu reduzieren, für bis zu 20 Minuten. Warte vor der nächsten Anwendung, bis sich die gekühlte Stelle wieder erwärmt hat. In den ersten Tagen nach der Verletzung solltest du keine Wärme anwenden – erst wenn der Entzündungsprozess abgeklungen ist.

 

  • COMPRESSION: Um Schwellung zu reduzieren kannst du dein betroffenes Bein bandagieren. Achte dabei darauf, dass du dir das Blut nicht abschnürst, sondern weiterhin gut zirkulieren kann.

 

  • ELEVATION: Eine weitere Methode, um in den ersten Tagen nach der Verletzung die Schwellung zu reduzieren ist, in dem du dein betroffenes Bein hochlagerst (leicht über Herzniveau). Nach der Akutphase werden Dehnung und ggf. auch Wärme zu einem essenziellen Bestandteil deiner Therapie.

Wann kann ich nach einer Zerrung oder einem Muskelfaserriss wieder Sport betreiben?

 

Dein Weg zurück in deinen Sport ist stark individuell, kann aber allgemein in mehrere Phasen gegliedert werden:

  • Akutphase

Die Akutphase bezeichnet den Zeitraum bis zu fünf Tage nach deiner Verletzung. Hier solltest du POLICE-Schema, wie oben beschrieben, anwenden.

  • Phase 1: Wiederherstellung der Beweglichkeit und Aktivierung der Muskulatur

Zu Beginn der Therapie liegt der Fokus darauf, die Beweglichkeit des Gewebes zu verbessern, z.B. durch Dehnungen, aktive und passive Mobilisierungen. Um die Muskulatur nach der Verletzung schonend zu Aktivieren werden vorwiegend isometrische Kraftübungen eingesetzt.

  • Phase 2: Krafttraining (Kraftausdauer und Full-Range-of-Motion)

In dieser Phase geht es um die Kräftigung deiner Hamstrings im vollen Bewegungsausmaß. Hier wirst du mit geringen Gewichten trainieren, jedoch mit hohem Volumen, geringer Intensität und in geschlossener Kette.

  • Phase 3: Krafttraining (Hypertrophie und Maximalkrafttraining)

In Phase 3 machst du intensives Krafttraining im Hypertrophie- und Maximalkraftbereich. Es geht darum den Muskel aufzubauen und Kraft und Belastbarkeit zu erhöhen. Du wirst mit hoher Intensität, geringen Volumen und in offener sowie geschlossener Kette trainieren. Mit Übungen in geschlossener Kette trainierst du besonders die koordinative Ansteuerung und Zusammenspiel deiner Muskulatur, um für Phase 4 optimal vorbereitet zu sein.

  • Phase 4: Schnellkraft, Explosivkraft und Return to Sport

In dieser Phase befindest du dich bereits am Ende deiner Reha. Hier geht es v.a. darum deine Muskulatur auf die Belastungsspitzen vorzubereiten, die dich in deinem Sport

erwarten. Je nachdem ob du beispielsweise Läufer*in, Fußballer*in oder Kletter*in bist, werden hier sportart-spezifische Bewegungen und Abläufe gezielt trainiert, um dich optimal auf den Wiedereinstieg in dein Training vorzubereiten.

 

Was dich ab Phase 2 und bis über deine Therapie hinaus begleiten wird, ist das exzentrische Krafttraining. Beim exzentrischen Krafttraining dehnt sich der Muskel unter hoher Spannung – genau bei diesen Aktivitäten passieren die meisten Verletzungen (siehe Absatz 2). Deswegen ist es essenziell, dass deine Muskulatur auf diese Belastungsansprüche vorbereitet ist.

 

Wie lange die einzelnen Phasen bei dir dauern und wann du bereit für das nächste Level bist, hängt davon ab, wie dein Körper mit den Trainingsreizen umgeht und sollte in engem Kontakt deinem/deiner Physio abgesprochen werden.

 

Was kannst du tun, um eine Hamstrings-Verletzung zu vermeiden?

 

Studien haben gezeigt, dass ein Warm-Up vor der Aktivität das Risiko für Verletzungen von Sehnen und Muskeln reduzieren kann. Wichtig ist jedoch, dass du zusätzlich neben der Ausführung deiner Sportart Kraft und Mobilität trainierst. Das verringert nicht nur dein Verletzungsrisiko, sondern steigert auch dein Leistungsniveau.

 

Eine Übung, die du auf jeden Fall (präventiv) in dein Training aufnehmen solltest, sind Nordic Hamstring Curls. Studien haben gezeigt, dass Fußball-Teams mit dieser Übung die Hamstring-Verletzungen ihrer Spieler um über 50% reduzieren konnten! Wie du dich optimal auf die Belastungen in deinem Sport vorbereiten und mit dem richtigen Training Verletzungen vorbeugen kannst, besprich am besten mit deinem/deiner Physio. Gemeinsam könnt ihr für dich einen individuellen Trainingsplan erstellen, damit du weiterhin alles und noch mehr geben kannst.